Mozarts “Ave verum corpus”

Ave verum corpus
natum de Maria Virgine.
Vere passum, immolatum
in cruce pro homine:
Cuius latus perforatum
fluxit aqua et sanquine:
Esto nobis prægustatum
in mortis examine.

Wahrer Leib, sei uns gegrüßet
den Maria uns gebar;
der am Kreuz für uns gebüßet,
das Versöhnungsopfer war!
Blut und Wasser aus dir fließen,
da dein Herz durchstochen war.
Gib uns, daß wir dich genießen
in der letzten Todsgefahr!

Lateinischer Text aus dem 13. Jahhundert

Mozarts Motette “Ave verum corpus” (KV 618), die er ein knappes halbes Jahr vor seinem Tode komponiert hatte, nimmt innerhalb seines kirchenmusikalischen Schaffens eine Sonderstellung ein. Das Werk, das laut Datierung auf der Partitur am 17. Juni 1791 (in Mozarts eigenem Werkverzeichnis allerdings mit 18. Juni) vermutlich für den Fronleichnamsgottesdienst des gleichen Jahres geschrieben wurde, beendete eine jahrelange Pause in Mozarts kirchenmusikalischem Schaffen und ist zudem auch noch das einzige Werk dieser Gattung, das in den letzten zehn Lebensjahren Mozarts kein Fragment geblieben ist.

Mozart hat vermutlich sein “Ave verum corpus” auf Veranlassung von oder aus Dank für den Badener Schullehrer und Regens Chori von St. Stephan Anton Stoll (1747-1805) geschrieben. Stoll war auch der erste Besitzer der Originalhandschrift. Die Uraufführung dürfte am 23. Juni 1791 zum Fronleichnamsfest unter der Leitung Anton Stolls erfolgt sein. Mozart selbst war an diesem Tag bereits wieder in Wien.

Es sind zwei Briefe Mozarts an Stoll erhalten, aus denen auf eine freundschaftlich-geschäftliche Beziehung zwischen den beiden geschlossen werden kann. Darin ist die Rede von den Aufführungsmaterialien zu zwei Mozart-Messen, die in Baden aufgeführt worden waren, aber auch davon, dass Stoll für Constanze Mozart in Baden eine Wohnung mieten solle. Die damals hochschwangere Frau hielt sich des öfteren in Baden auf, wo sie Mozart mehrmals besuchte und dabei die Bekannschaft von Anton Stoll machte. Die derben Wortspiele und Scherze Mozarts in den Briefen lassen auch darauf schließen, dass der Alkohol in der Beziehung zwischen den beiden Männern eine gewissen Rolle gespiet haben dürfte.

Warum ausgerechnet der aus dem 13. Jahrhundert stammende Text des “Ave verum corpus” von Mozart vertont wurde, könnte ebenfalls auf Wunsch von Anton Stoll erfolgt sein, da auch Franz Xaver Süßmayr (1766-1803), der Schüler und Adlatus Mozarts, für das Fronleichnamsfest 1792 für Stoll ein “Ave verum corpus” komponiert hat.

Die Originalhandschrift, ein Doppelblatt aus handgeschöpften Büttenpapier, gelangte, wie bereits erwähnt, von Mozart direkt in den Besitz Anton Stolls. Dieser besaß nachweislich sechs Originale Mozarts, darunter die “Missa solemnis” (KV 337), die “Missa brevis in D” (KV 194) und die “Missa brevis in B” (KV 275). Nach dem Tode Stolls kamen diese in den Besitz seines Nachfolgers als Lehrer in Baden Joseph Schellhammer sen. (1785-1864), die er – bis auf KV 275, das er schon vorher verkauft hatte und heute verschollen ist – an seinen Sohn Joseph Schellhammer jun. (1817-1881) vererbte. Dieser verkaufte sie 1868 an Ludwig Ritter von Köchel (1800-1877). Schellhammer jun. vermerkt dies sogar in seinem Tagebuch: “Am 21. d. M. (November, Anm.) erhielt ich vom H. Dr. Ludw. R. v. Köchel, h. h. Rat 365 fl. ÖW als Kaufpreisfür meine Mozart’schen Autographe (…) Ich trennte mich wohl hart von diesen Kleinodien, die mein sel. Vater ungefähr im Jahre 1804 oder 1805 von der Witwe des damaligen Regenschori der Stadtpfarrkirche in Baden bei Wien H. Anton Stoll, einem guten Freunde Mozarts bekam, u. also an 64 Jahre in unserem Besitze waren. Nur unsere mißlichen Verhältnisse nöthigten mich zum Verkaufe.” Köchel ließ die Handschriften binden und verwahrte sie in einer Holzkassette, die unter dem Namen “Köchel-Kassette” heute in der Österreichischen Nationalbibliothek zu finden ist.

Der Erstdruck des “Ave verum corpus” erschien 1808 im Verlag von Johann Andre in Offenbach am Main, was darauf hindeutet, dass Constanze Mozart eine Abschrift des Originals besessen hatte, die für die Erstveröffentlichung herangezogen wurde.

Quellen:
Günter Brosche, Einleitung zur Faksimile-Ausgabe, Akademische Druck- und Verlagsanstalt, Graz/Austria
Jochen Reutter, Vorwort zur “Missa brevis in B”, Carus-Verlag Stuttgart, CV 40.629/03