Franz Walter (1808 – 1872)

Regens chori 1836 – 1872

Nachdem Pfarrschule und Kirchenchor zwei Monate lang unter der provisorischen Leitung des Lehrers Franz Deifl gestanden waren, trat am 1. Oktober ein gebürtiger Badener, Franz Walter, sein Amt an.1 Sehr jung schon war er Lehrer geworden – neben seiner Tätigkeit als “Normalschullehrer” in Hütteldorf absolvierte er 1825 den für höhere Würden vorgeschriebenen “pädagogischen Kurs”.2 1836 kehrte er, noch immer keine 30 Jahre alt, als Schulleiter nach Baden zurück. Sein offizieller Titel lautete “Oberlehrer und regens chori” – die Bezeichnung Schulmeister war wohl zu altertümlich geworden.

Aber auch unter seinem neuen Titel war es um die selbständige Position des Schulleiters schlecht bestellt, wie ein anerkennendes Zeugnis des neuen Pfarrers Laurenz Alko im Jahre 1842 zu erkennen gibt:
Der Schullehrer Franz Walter scheint das Verhältnis, in welchem er zum Pfarrer steht, gut aufgefaßt zu haben und zeigte den gehörigen Gehorsam und die geziemende Hochachtung. Dessen Lehrgehilfen Franz Deifel, Vinzenz Holzer, Johann Schmidt und Andreas Hirsch haben hierorts einen guten Ruf, besonders der erste, der auch große Hoffnung hatte, Schullehrer zu werden. Obigen soll man wegen seiner größeren Geschicklichkeit in der Musik gewählt haben.3

Von seinem Vorgänger hatte Walter das leidige Problem Hauptschule geerbt, und es sollte ihn durch den Großteil seiner langen Amtszeit begleiten. Die Entwicklungen im Überblick:

  • 1840 Projekt, die über 600 Schüler der bisherigen Trivialschule als Hauptschule in zwei I. Klassen (Untere und Obere Abteilung), zwei II. Klassen (Mädchen und Buben) und einer III. Klasse zu führen. Der Oberlehrer ist bereit, die dafür benötigten zusätzlichen Lehrer aus eigener Tasche zu bezahlen, wenn er das Schulgeld erhöhen darf. Durchgeführt wird zunächst nur die Geschlechtertrennung in der II. Klasse.
  • 1843 Befürwortung des Projekts durch die kirchlichen Stellen
  • 1843 Antrag der Gemeinde auf Einführung einer “provisorischen Hauptschule”
  • 1844 Ablehnung des Kreisamts, solange nicht ein eigener Fonds zur Deckung der Kosten bestehe
  • 1845 696 Kinder! Regierungsdekret: Eine provisorische Hauptschule gibt es nicht. Es ist eine ordentliche Hauptschule mit einer Vorbereitungsklasse und 3 Klassen einzurichten. Die Lehrer sind nach dem offiziellen Besoldungsschema zu bezahlen, die Dienstwohnung des Oberlehrers ist zur Gewinnung zusätzlichen Unterrichtsraumes aufzulassen. Die dem Oberlehrer entstehenden Mehrkosten sind durch die Verleihung einer offiziellen Direktorenstelle abzugelten.
  • 1845 Ablehnung durch Stadtgemeinde (zu hohe Kosten) und Pfarre (Befürchtungen um die Kirchenmusik)4
  • 1851 821 Kinder in 4 Lehrzimmern! Kundmachung: Ab Schulbeginn am 1. November wird mit der Einrichtung einer dreiklassigen Hauptschule begonnen! Das Unternehmen bleibt jedoch stecken, es kommt nur zur Einrichtung einer III. Klasse für Knaben. Die Stadtgemeinde übernimmt die Besoldung der Unterlehrer nach dem offiziellen Gehaltsschema. Das bedeutet eine Entlastung des Oberlehrers und eine große soziale Aufwertung der Unterlehrer: Hatten sie bisher als “Schulgehilfen” vom Oberlehrer 20 – 30 Gulden sowie Kost und Quartier bekommen, so waren sie nun offiziell Lehrer und erhielten aus der Gemeindekasse 150 – 300 Gulden jährlich, mit denen sie freilich auch Kost und Quartier bestreiten mussten. Ob das eine fühlbare materielle Besserstellung war, ist fraglich; mehr wog wohl das Wegfallen der direkten Abhängigkeit vom Oberlehrer.
  • 1855 833 Kinder! Ministerialerlass: Die Badener Trivialschule wird zur Pfarrhauptschule mit 4 Klassen erhoben. Sofortige Errichtung einer IV. Klasse für Knaben und einer III. Klasse für Mädchen.
  • 1856 Errichtung einer IV. Klasse für Mädchen – die Geschlechtertrennung ist nun perfekt.
  • 1861 973 Kinder in 8 Klassen! Teilung der I. Klasse Knaben
  • 1867 Teilung der I. Klasse Mädchen
  • 1868 Einführung des Freigegenstandes Zeichnen für Knaben
  • 1869 Aufhebung der Teilung der I. Klasse Mädchen, stattdessen Einführung einer V. Klasse für Mädchen
  • 1869 Die Kinder von Braiten und Rohr sowie der Peterhofgasse, Sauerhofstraße und der Weilburgstraße gehören künftig zum Schulsprengel von Weikersdorf. In Baden reduziert sich die Schülerzahl auf 857 Kinder.
  • 1869 Einführung des Freigegenstandes Turnen für die höheren Knabenklassen
  • 1870 Einführung einer V. Klasse für Knaben
  • 1872, 16. April stirbt der Oberlehrer Franz Walter.5

Trotz des hohen bürokratischen und organisatorischen Aufwands für all diese Bestrebungen und Entwicklungen fand Walter immer wieder Zeit und Energie für musikalische Betätigung. Kein Wunder, hatte er doch schon mit 14 durch sein schönes Orgelspiel in der Karlskirche zu Wien die Aufmerksamkeit des dortigen Propstes erregt6 (ob das Folgen für seine musikalische Ausbildung hatte, wissen wir nicht). Er galt als hervorragender Klavierlehrer, wurde während der 1848er-Revolution Mitglied der Badener Nationalgarde und diente dort als Kapellmeister der Gardemusik, schließlich gehörte er 1862 zu den Gründern des Badener Männergesangsvereins, den er als Chormeister leitete.7

Aber zurück zum Kirchenchor. Wir haben es ja schon gehört: Die Befürchtungen des Pfarrers, die 1845 zur Ablehnung der Hauptschule geführt hatten, bestanden zu recht. Kaum hatten die Unterlehrer 1851 eine etwas unabhängigere Stellung erreicht, wuchs schon ihr Selbstbewusstsein, und sie begannen gegen den Dienst im Kirchenchor aufzubegehren. Noch im selben Jahr musste der Oberlehrer eine klare Dienstanweisung zu Protokoll geben. Die Unterlehrer hatten

  • wöchentlich zwei bis drei Singstunden abzuhalten
  • beim Hochamt an Sonn- und Feiertagen sowie bei kirchlichen Festen im Kirchenchor mitzuwirken
  • bei allen übrigen Gottesdiensten den Volksgesang auf der Orgel zu begleiten (1855 hatte sich ein Radl eingespielt, nach dem der einzelne Lehrer jede 8. Woche Orgeldienst hatte)
  • Bei Begräbnissen 1. Klasse hatten 4 Lehrer mitzugehen, bei Begräbnissen 2. Klasse 2 – sie bekamen dafür 30 bzw. 20 Kreuzer.

Trotzdem taten die Lehrer nur lustlos mit, entsprechend motiviert waren die Kinder und blieben den Singstunden fern. Als dann 1855 die Erhebung zur Pfarrhauptschule kam, war es ganz aus. Der Pfarrer schrieb zwar aus diesem Anlass fast trotzig ins pfarrliche Gedenkbuch: Die Lehrer und Unterlehrer sind zum Chormusik-Dienste verpflichtet,8 doch bereits zu Weihnachten 1855 war regens chori Franz Walter in der Krise. Er teilte der Gemeinde mit, dass die Kinder theoretisch nach drei Jahren Gesangsunterricht in der Klasse eine höhere Ausbildung beim Oberlehrer selbst bekommen sollten, doch leider sei bis dahin von 12 – 15 Kindern nur mehr eines übrig! Bei solchen Ausfallquoten sei auf längere Sicht kein ausreichender Nachwuchs für den Kirchenchor sichergestellt. Walters Vorschlag: Gesangsunterricht und Mitwirken “bei allen kirchlichen Musikproduktionen” sollten für Knaben bis 14, für Mädchen bis 15 Jahre verpflichtend werden!9 Über den Daumen gerechnet: Der Schulchor des Oberlehrers umfasste also höchstens 30 Kinder – durchaus vorstellbar, dass da für den Kirchenchor nur mehr wenige überblieben, wenn sie einmal erwachsen waren! Wahrscheinlich folgte die Gemeinde den Anregungen des Oberlehrers nicht, denn keine zehn Jahre später liefen die Vorbereitungen auf das Weihnachtsfest wieder nicht nach dessen Vorstellungen. Auf seine Beschwerde beschloss der Schulausschuss am 20. Dezember 1864, daß die Herren Unterlehrer strengstens anzuweisen sind, ihre übernommenen Verpflichtungen in Betreff des Kirchendienstes zu erfüllen und den obligaten Gesangunterricht zu erteilen.10

Nach den offensichtlich weiterhin schlechten Erfahrungen dieses Schuljahres stellte der Oberlehrer am 5. Juli 1865 eine neue, ganz genaue Dienstordnung über die kirchenmusikalischen Verpflichtungen seiner Unterlehrer zusammen:

  • Bei der Werktagsmesse um 10 Uhr muss einer der Lehrer die Orgel spielen, zwei haben die Kinder in der Kirche zu beaufsichtigen.
  • Dasselbe gilt am Sonntag um 8 Uhr bei der Schulmesse.
  • An Sonn- und Feiertagen bei der Frühmesse, um 9.30 Uhr beim Predigtlied und um 17 Uhr beim Segen hat ein Lehrer das Orgelspiel zu übernehmen.
  • Dasselbe gilt für das Roratelied um 17 Uhr an den Adventnachmittagen.
  • An Hochfesten müssen zwei Lehrer an der Vesper mitwirken.
  • Die Mitwirkung bei allen Hochämtern und übrigen kirchlichen Funktionen versteht sich von selbst.
  • Singunterricht ist täglich, mit Ausnahme des Donnerstags und der Sonn- und Feiertage, zu erteilen.

Die Teilnahme an Begräbnissen war anscheinend nicht mehr verpflichtend, doch versprach der Oberlehrer bei “Halbkondukten” jedem Unterlehrer, der am Miserere mitwirkte, 50 Kreuzer, und für das Totenlied weitere 50 Kreuzer; bei “Ganzkondukten” das Doppelte; bei einem bezahlten Requiem sollte jeder mitwirkende Lehrer ebenfalls 50 Kreuzer bekommen. Außerdem stellte er seine Gehaltserhöhung von 40 Gulden monatlich dem Lehrer zur Verfügung, der in diesem Monat das Orgelspiel übernehme.11

Ob diese Regelung viel bewirkte, ist aktenmäßig nicht zu belegen. Im Übrigen dürfte sich Walter, trotz der immer wieder kehrenden Reibereien wegen der Kirchenmusik, mit seinen Lehrern grundsätzlich gut verstanden haben, denn 1868 fand sich der ganze Lehrkörper zu einer gemeinsamen “musikalisch-deklamatorischen Vorstellung” im Stadttheater zusammen, mit deren Erlös eine Schulbibliothek begründet werden sollte, und 1870 gab es eine ähnliche Veranstaltung, um die Anschaffung von Lehrmitteln zu finanzieren.12

Da sich aus den Jahren 1859, 1864 und 1866 – 1869 Lehrerlisten erhalten haben,13 kennen wir die Namen vieler der manchmal mühsamen, manchmal hilfsbereiten Kollegen und unfreiwilligen Kirchenchormitglieder:

  • Franz Deifl, Unterlehrer in Baden 1829 – 1872
  • Ignaz Riepl, erwähnt 1859
  • Franz Stranker, erwähnt 1859 – 1868/69
  • Silverius Kneifl (Schlesien 1831 – 1891 Baden), Lehrer in Baden 1856 – 1891; auch außerhalb seines Berufes suchte er sich nützlich zu machen, indem er als sehr guter Musiker für die Hebung dieser schönen Kunst in Baden auch viele Jahre wirkte. Als Chormeister des hiesigen Männergesang-Vereines wirkte er so verdienstlich, daß ihn der Verein … zum Ehrenmitgliede ernannte.14
  • Isidor Grimme, erwähnt 1859 – 1868/69
  • Karl Zanetti, erwähnt 1859 – 1868/69, regens chori 1872 – 1905
  • Andreas Prinz, erwähnt 1859 – 1863/64
  • Anton Strell, erwähnt 1859
  • Franz Steininger, erwähnt 1863/64
  • Franz Dorr, erwähnt 1863/64 – 1868/69, sang noch in den 1890er-Jahren
  • Leopold Hakler, erwähnt 1863/64
  • Johann Walter, Sohn des regens chori Franz Walter, erwähnt 1863/64 – 1868/69
  • Eduard Krisa, erwähnt 1863/64 – 1868/69
  • Emanuel Fitzga, erwähnt 1865/66 – 1868/69
  • Eduard Hammerschmid, erwähnt 1865/66 – 1868/69
  • Johann Giessauer, 1867/68
  • Wilhelm Langer, erwähnt 1867/68 – 1868/69
  • Markus Wandl, 1868/69
  • C.A. Waltner, 1868/69 – gestorben 187215

Mit den neuen Schulgesetzen vom 1. Oktober 1870, die die endgültige Trennung von Schule und Kirchenmusik forderten, brach eine neue Öra an, die mit einem Generationswechsel in der Kirchenmusik zusammenfiel. Das pfarrliche Gedenkbuch meldet:
Am 27. Februar 1871 starb hier nach Empfang der hl. Sakramente der 73 Jahre alte Meßner dieser Pfarrkirche, zugleich Thurnermeister, Herr Johann Nep. Namiesky, dessen Leistungen in der Musik allgemein anerkannt und dessen außerordentlich schöne Singstimme geschätzt wurden, und wurde von den Kirchenvorstehern hier der Schullehrer von Tribuswinkel und vordem Lehrer an der Pfarrhauptschule zu Baden, Herr Carl Zanetti, am 11. April 1871 als Meßner angestellt; die Thurnermeisterstelle aber von der Commune Baden dem Herrn Josef Wiesneth, Director der hiesigen Cur-Musik-Capelle, verliehen, welcher auch von der Commune für die Kirchenmusik bezahlt wird.
16

Im selben Jahr starb Pfarrer Wisgrill, und nun fühlte auch der regens chori, dass seine Zeit gekommen war: Mit Ende des Jahres legte er sein Amt zurück. Dazu das Gedenkbuch der Pfarre:
Am 16. April 1872 starb nach Empfang der hl. Sakramente der dirigirende Oberlehrer der hiesigen Volksschule Herr Franz Walter, 63 Jahre alt, und viele Tränen fielen auf sein Grab. Die Stelle des Chorregens an der hiesigen Pfarrkirche, die er durch viele Jahre geziert, hatte er mit Beginn seines Sterbejahres zurückgelegt, worauf der hiesige Meßner Herr Carl Zanetti vom Hochwürdigen Fürsterzbischöflichen Ordinariate als Chorregens an hiesiger Pfarrkirche bestättigt wurde, was umso wünschenswerther war, als er in seinem kargen Meßner-Einkommen durch die Errichtung diverser Leichenbestattungsanstalten nicht unerhebliche Einbuße erlitt …17

Und nun hatte auch das Fossil unter den Badener Lehrern genug: Nach 51 Dienstjahren, davon 43 in Baden, ging Lehrer Franz Deifl (1805 – 1895) in Pension – obwohl er seinerzeit nicht musikalisch genug für die Stelle eines regens chori gewesen war, bereicherte er nun seinen Lebensabend mit zahlreichen musikalischen Aktivitäten.18 Der Generationswechsel in der Kirchenmusik aber war damit perfekt.

Text: Dr. Rudolf Maurer

Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung der “Städtischen Sammlungen Baden (Rollettmuseum)”.

1 Franz X. Walter, geb. am 29. Mai 1808 in der Neugasse Nr. 37 (es handelte sich um das Haus “zum Rothen Apfel”, heute Pergerstraße 11) als Sohn des Schlossermeisters Franz X. Walter und der Marianna geb. Sommerauer (PfA Baden St.Stephan, Taufbuch tom. VII, fol. 207). – ROLLETT, Chronik III/1890, 16.
2 Badener Bote, Jg.5/Nr.26 vom 21.IV.1872.
3 PfA Baden St.Stephan, Memorabilienbuch, 11.
4 Die Verhandlungen um die Ausgestaltung der Pfarrschule 1840 – 1845 werden auch im pfarrlichen Memorabilienbuch (S. 9 – 28) Punkt für Punkt bestätigt.
5 StA B, GB 387 (Schulakten). – ROLLETT, Chronik III/1890, 16-17. – Rollett gibt fälschlich den 18. April als Todestag an, vgl. jedoch PfA Baden St.Stephan, Sterbbuch tom. XIV, fol. 69.
6 Badener Bote, Jg.5/Nr.26 vom 21.IV.1872.
7 ROLLETT, Chronik XIII/1900, 46.
8 PfA Baden St.Stephan, Memorabilienbuch, 35.
9 StA B, GB 387/1855.
10 StA B, GB 387/1864.
11 StA B, GB 387/1865.
12 ROLLETT, Chronik III/1890, 17.
13 StA B, GB 387/1859 – 1869.
14 Badener Bote, Jg.24/Nr.36 vom 5.IX.1891.
15 Tod Waltners: Badener Bote Jg.5/Nr.13 vom 31.III.1872.
16 PfA Baden St.Stephan, Memorabilienbuch, 49.
17 PfA Baden St.Stephan, Memorabilienbuch, 51f.
18 Hildegard HNATEK, Die Badener Malerin Anna Winkler. Ein Nachlaß von 31 Gemälden (= Katalogblätter des Rollettmuseums Baden, Nr. 15, 2. Auflage Baden 2001), 1f.