Die Hencke-Orgel
der Stadtpfarrkirche Baden St. Stephan
Johann Hencke ist einer der bedeutendsten Wiener Orgelbauer der Barockzeit. Am 3. Dezember 1698 in Gesecke (Westfalen) geboren, kommt er auf Grund der beruflichen Tätigkeit seines Vaters als Bildhauer wahrscheinlich schon früh mit dem Orgelbau in Berührung. In der Zeit zwischen 1736 und 1765 wirkt er in Wien und Umgebung, unter anderem baut er die damals größte und bedeutendste Orgel des österreichischen Barock im Stift Herzogenburg. Hencke stirbt am 24. September 1766.
Die Orgel der Stadtpfarrkirche Baden St. Stephan, ursprünglich 1744 für die Kirche des Chorherrenstiftes St. Dorothea in Wien geschaffen, wird 1787 nach der Stiftsaufhebung von der Stadt Baden angekauft und von den Wiener Orgelbauern Johann und Josef Wiest in die Stadtpfarrkirche St. Stephan übersiedelt.
Das prachtvolle Schnitzwerk mit seinen Engelsstatuen stammt vom Wiener Bildhauer Ignaz Gunst. Die feineren Bildhauerarbeiten und die Verzierungen führt der Hofbildhauer Johann Georg Pichler aus. Heute sind von der ursprünglichen Hencke-Orgel nur mehr der Prospekt mit den Prinzipalpfeifen und ein Manual erhalten.
Trotz der Begeisterung der Badener über ihre neue Orgel werden sie damit nicht glücklich. Die Übertragung des schon über 40 Jahre alten Instrumentes in einen anders dimensionierten Raum führt immer wieder zu Problemen. So muss die Orgel bereits 1795 das erste Mal gründlich überholt werden. Weitere große Renovierungen folgen 1815, 1823 und 1828. Als man danach endlich feststellen kann, dass die Orgel “nunmehr vollkommen gut und zweckmäßig” sei, bringen 1833 Bauarbeiten durch den entstehenden Staub die Orgel erneut in einen unbrauchbaren Zustand. Von 1838 bis 1870 erfolgen fast jährlich Reparaturen. Der letzte Orgelbauer, der die originale Hencke-Orgel betreut, ist Adalbert Kanitsch aus Wiener Neustadt. Aus einem Vertrag mit ihm aus dem Jahre 1907 wissen wir, dass das Instrument ursprünglich 25 Register hatte; die genaue Disposition bleibt unbekannt.
1911 erhält der Wiener Orgelbauer Franz Swoboda – nach einem von ihm erstellten vernichtenden Gutachten über den Zustand der Orgel – den Auftrag für einen kompletten Neubau, der 1913 abgeschlossen ist. Nach dem Geschmack der Zeit errichtet Swoboda im Raum hinter dem Prospekt eine Orgel mit romantischer Disposition und pneumatischer Traktur. Das alte Gehäuse der Hencke-Orgel wird an die Wand geschoben, funktionslos, mit stummen Prospektpfeifen.
Aber auch die neue Orgel steht unter keinem guten Stern. Durch die für Störungen anfällige pneumatische Traktur und die Auswirkungen der beiden Weltkriege benötigt das Instrument immer wiederkehrende, oft nur notdürftig gemachte und kostenintensive Instandsetzungsarbeiten. Die Orgel droht, zu einem Fass ohne Boden zu werden, und so ist es nicht zuletzt eine Rentabilitätsrechnung, die den Beschluß zum Neubau in den 1980er-Jahren herbeiführt.
1982 erfolgt der Beschluß im Pfarrgemeinderat, Orgelbaumeister Gerhard G. Hradetzky aus Oberbergern (Niederösterreich) mit dem Neubau der Orgel zu beauftragen. Ihm ist es gelungen, einerseits die Orgel in einen möglichst nahe dem Original entsprechenden Zustand zu rekonstruieren, andererseits aber die Einschränkungen des ursprünglich wesentlich geringeren Tonumfanges von nur 45 Tönen im Manual und 12 Tönen im Pedal zu vermeiden. Die Restaurierung des Schnitzwerkes und der Figuren übernimmt der Restaurator und Vergoldungsmeister Friedrich Fuchs.
Zwei historische Besonderheiten der neuen Orgel verdienen besondere Aufmerksamkeit:
- Die originalen Prospekt-Pfeifen der Hencke-Orgel
Prospektpfeifen des 17. und 18. Jahrhunderts sind Raritäten höchsten Grades, da sie im 19. Jahrhundert oftmals romantisierenden Umbauten und im 20. Jahrhundert der Materialbeschaffung in den Weltkriegen zum Opfer gefallen sind. In Baden bleiben wenigstens die vorderen Hälften der Pfeifen von diesem Schicksal verschont und können in langwieriger Arbeit rekonstruiert und wieder zum Klingen gebracht werden. - Die Klaviatur des zweiten Manuales mit originalen Tasten
Fast noch weniger als Pfeifen sind Tastaturen historischer Orgeln überliefert, da diese einem natürlichen Verschleiß unterliegen. Die seltenen, aus Ebenholz und Ochsenknochen gefertigten Tasten der originalen Hencke-Orgel wurden nach dem Neubau von 1913 aufbewahrt, kurz vor Beginn der Renovierungsarbeiten im Archiv des Kirchenchores aufgefunden und konnten so wieder ihrer ursprünglichen Bestimmung zugeführt werden.
Text: Martin Melcher
Quelle:
Jorda, Maurer, Wiesmann: Pfarre St. Stephan – Festschrift zur Orgelweihe; 1987