Die "Badener Messe"
(Missa solemnis in C-Dur, KV 232a)
Im Sommer 1929 machte Bernhard Nefzger, Regens Chori des Kirchenchors
der Pfarre Baden St.Stephan, die Entdeckung seines Lebens. Die
handgeschriebene Chronik des Kirchenchors berichtet: Im Sommer 1929
entdeckte am Kirchenchor im alten Notenarchiv Chordirektor Nefzger die
Stimmen zu einer bisher unbekannten Messe von Mozart. Nefzger verfaßte
eine Partitur zu diesem Werke und studierte dasselbe mit dem Kirchenchor
ein. Die erste Aufführung erfolgte am Stephanitag, 26. Dez. 1930, zum Patroziniumsfeste
der Pfarre beim Hochamte.1
Die Badener Zeitung berichtet genaueres über die "Badener C-Messe": ...
Bevor sie das Attest der zünftigen Musikwissenschaft erhält und in irgendeinem
Anhange zum Köchelverzeichnis registriert wird, wollen wir die
Tatsache festhalten, daß das Stimmenmaterial einer vollständigen Messe,
aber ohne Partitur, im Archiv der Badener Pfarrkirche durch Chordirektor
B. Nefzger aufgefunden wurde; daß die Stimmen offenbar von Kopistenhand
rechts oben den Namen "W.A. Mozart" tragen, daß nach Untersuchungen
der Wiener musikwissenschaftlichen Stellen das Notenpapier unverkennbar
aus der Zeit ist. Durch die andere Tatsache der häufigen Anwesenheit
Mozarts in Baden und seiner Freundschaft mit dem damaligen Regenschori
Anton Stoll aber besteht die Möglichkeit, daß der Meister eine
Messe hier komponiert oder eine schon komponierte seinem Freunde zur
Aufführung übergeben hat. Eine Mozartmesse war zu Lebzeiten des Komponisten,
der dergleichen nach Laune und Gelegenheit
aus dem Ärmel schüttelte, keine so besonders wichtig genommene Sache.
Und so kann es wohl geschehen sein, daß das Werk ein paarmal aufgeführt,
dann unter anderem Notenwust weiter nach unten gekommen war und in
Verstoß geriet ...2
Was sagt die Musikwissenschaft dazu? Die Aufnahme in Fachkreisen war
von Anfang an geteilt. Der Badener Musikpädagoge Viktor Grimm war
begeistert, im "Badener Volksblatt" schwärmte er: Wer mit dem Stile Mozarts
vertraut ist, der muß mit Freude die Überzeugung gewonnen haben,
daß die aufgeführte Messe wirklich von Mozart ist. Der Musiker Ludwig
Werba war schon beim ersten Anhören wenig überzeugt und machte seinen
Zweifeln in der "Badener Wacht" Luft: ... glaube ich an einigen Anzeichen
zu bemerken, daß der Stil des Werkes manchmal sogar recht stark von dem
des genialen Meisters abweicht. Manche Durchführungen, Vorhalte und so
manche Partiturstellen erweisen sich als Mozart-fremd.3
In den 1930er- und 1940er-Jahren kam es an verschiedenen Orten zu Aufführungen
der vermeintlichen Mozart-Messe, doch seitdem ist es still um
sie geworden. Der Stimmensatz wurde inzwischen noch drei Mal aufgefunden,
einmal in der Musiksammlung der Österreichischen Nationalbibliothek
(HS 432), einmal im Stift Melk und einmal im Stift Göttweig, dort mit
Anschaffungsdatum 1840 und der kritischen Bemerkung "ist vielleicht
nicht von ihm, jedoch gut"! Schließlich wurde die "Missa solemnis in C-Dur"
in die dritte Auflage des Köchel-Verzeichnisses aufgenommen - sie
scheint dort unter den unechten Werken im Anhang mit Nummer 232a
auf.4
Die sechste Auflage des Köchel-Verzeichnisses sagt dezidiert: Das Werk
hat mit Mozart sicherlich nichts zu tun, merkt aber darüber hinaus an: Die
ersterwähnte Handschrift soll durch Schullehrer und Regenschori Stoll
nach Baden gekommen sein.5
Diese Formulierung ist mißverständlich, sie klingt so, als wäre die Handschrift
432 der Musiksammlung der Österr. Nationalbibliothek das von
Nefzger aufgefundene Material. Das ist aber schon von der Geschichte des
Kirchenchorarchivs nicht denkbar - wir erinnern uns, daß dieses 1812 ein
Opfer des Stadtbrandes wurde, und das daraufhin neu erstellte Notenarchiv
wurde der Nationalbibliothek erst nach den Verwüstungen und Plünderungen
der Besatzungsjahre 1945 - 1955 übergeben.6 Auch die im Köchel-Verzeichnis
folgende Angabe, daß das von Nefzger aufgefundene Stimmenmaterial
nach einer Überprüfung von Papier und Schriftduktus ca. 1780
entstanden ist, trifft auf HS 432 nicht zu.7 Ich konnte diese Handschrift im
Jänner 2006 untersuchen und dabei durchwegs ein Wasserzeichen GKIESLING
mit drei darüberliegenden Halbmonden feststellen. Dieses bezieht
sich auf den Papiermacher Gustav Kiesling, der im ersten Drittel des 19.
Jahrhunderts (nachgewiesen von 1800 bis 1835) Besitzer verschiedener
Papierfabriken in Nordböhmen war.8
Gerade rechtzeitig im Jänner 2006 schenkten die Erben Bernhard Nefzgers
dem Rollettmuseum Baden den musikalischen Nachlaß des rührigen Regens
Chori. Und darin fand sich das seinerzeit so hochgejubelte Stimmenmaterial:
16 genähte Hefte aus bläulich/grünlichem Papier, durchgehend
mit Wasserzeichen heraldische Lilie und den Initialen MN. Die Lilie entspricht
dem seit 1771 gebrauchten Wasserzeichen der Papiermühle Leesdorf
bei Baden, die Initialen lassen sich allerdings mit keinem der bisher
bekannten Besitzer in Übereinstimmung bringen.9 Mit Recht spricht der
oben zitierte Zeitungsschreiber davon, daß der Name Mozarts von Kopistenhand
stamme, denn der Schreiber, der offensichtlich mehrere Mozartoriginale
zur Hand hatte oder gut kannte, probierte auf jedem Heft eine
andere Variante von Mozarts Unterschrift aus!
Offenbar sind also im Köchelverzeichnis zwei Tatsachen durcheinandergekommen:
Die Meldung, daß das von Nefzger aufgefundene Material nach
Papier und Duktus ca. 1780 entstanden sei, und die Tatsache, daß die Wiener
HS 432 die fragliche "Badener Messe" enthält. Da die Nefzger-Funde
in dessen Nachlaß liegen blieben und damit für die Forschung verschollen
waren, konnte der Bearbeiter zu der irrigen Ansicht kommen, daß HS 432
mit dem Nefzger-Material identisch sei.
Heute, im Jänner 2006, verwahrt das Stadtarchiv Baden die von Nefzger
geschriebene Partitur der "Missa solemnis in C-Dur" (KV 232a), und im
Archiv des Kirchenchors Baden St. Stephan liegt ein ebenfalls von Nefzger
geschriebener Klavierauszug auf, beide feierlich in Schwarz gebunden, und
mit der goldgeprägten Aufschrift: "W.A. Mozart - Die Badener Messe".

 |

 |
Die vier "Mozart-Autographe" der Missa Solemnis in C ("Badener Messe")
|
Text: Dr. Rudolf Maurer
Quelle:
Rudolf Maurer: Anton Stoll - Der Badener Schulmeister und sein Freund Mozart,
Katalogblatt Nr. 57 des Rollettmuseums Baden, Baden 2006.
Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung der "Städtischen Sammlungen Baden (Rollettmuseum)".
1 Archiv des Kirchenchors Baden St.Stephan "Gedenkbuch", sub dato (eine Kopie
liegt auch im StA B auf).
2 Badener Zeitung Jg.51/Nr.104 vom 31.XII.1930.
3 Beide Stellungnahmen zitiert nach: WALLNER, 74.
4 Gutachten von tit.ao. Univ.-Prof. Dr. Herbert Seifert vom Institut für Musikwissenschaft,
3. Okt. 1991. Zitiert nach: WALLNER, 75. - Vgl.: Ludwig Ritter v.
KÖCHEL, Chronologisch-thematisches Verzeichnis sämtlicher Tonwerke Wolfgang
Amadé Mozarts (6. Aufl. Wiesbaden 1964), S. 812.
5 Köchel-Verzeichnis, S. 812.
6 WILLANDER, S. II.
7 Vgl. Köchelverzeichnis, S. 812.
8 Vgl. Georg EINEDER, The Ancient Papermills of the Former Austo-Hungarian
Empire and their Watermarks (Hilversum 1960), S. 119, 123 und Wasserzeichen
Nr. 435, das mit dem der HS 432 identisch ist.
9 EINEDER, Wasserzeichen Nr. 638 aus dem Jahr 1795. - Vgl. Kurt DRESCHER,
Die ehem. Badener Mühlen (Baden Eigenverlag 1990).
|
|