Kleine Chronik
des Kirchenchors Baden St. Stephan
Der Kirchenchor Baden St. Stephan blickt auf eine lange ereignisreiche Geschichte zurück. Über die
Anfänge eines regelmäßigen liturgischen Chorgesanges wissen wir allerdings recht wenig.
Bekannt ist nur, daß die Leitung des Chores und der Kirchenmusik jahrhundertelang in den Händen
des jeweiligen Stadtschulmeisters lag. Der erste uns derzeit bekannte Schulmeister war Gabriel Platzer,
der im Jahre 1534 als Regens Chori urkundlich erwähnt wird. Erst ab der zweiten Hälfte des
18. Jahrhunderts beginnt mit Anton Stoll (Regens Chori von 1770 bis 1805) die kontinuierliche
Geschichtsschreibung aber auch die Verbindung des Badener Kirchenchores zu den großen Komponisten
der Wiener Klassik und der Romantik.
Während Christoph Willibald Gluck 1781 und 1787 nur zur Kur in Baden weilte und Joseph Haydn lediglich zur
Eröffnung des Testaments seiner in Baden verstorbenen Frau Maria Anna am 22. März 1800 einen Tag in der
Kurstadt verbrachte, wurde die Verbindung mit Baden besonders im Falle Mozarts sehr eng. Zwar wohnte auch
Maria Anna Haydn bereits bei Anton Stoll, doch erst mit den Kuraufenthalten von Constanze Mozart ergibt sich
eine enge Zusammenarbeit zwischen Wolfgang Amadeus Mozart und dem Regens Chori bei St. Stephan.
Mehrere Messen Mozarts werden in Baden aufgeführt, teilweise unter der Stabführung des Komponisten,
teilweise unter Leitung des Chorleiters. Überliefert ist besonders eine Aufführung der Missa brevis in B-Dur, KV
275, am 10. Juli 1791. Mozart selbst hat die Messe dirigiert und die dreizehnjährige Antonie Huber, die Schwägerin
Anton Stolls, das Sopransolo gesungen. Am 17. Juni 1791 komponierte Mozart für Anton Stoll im Haus
"Zum Blumenstock" in Baden die Motette "Ave verum corpus", KV 618, als Dank dafür, daß Constanze
Mozart während ihrer Kuraufenthalte in Baden bei Stoll wohnen konnte bzw. ihr bei der Quartiervermittlung
behilflich war. Dieses Meisterwerk wurde in der Badener Stadtpfarrkirche vom damaligen Kirchenchor uraufgeführt,
woran eine 1911 über dem Choraufgang angebrachte Marmortafel erinnert.
Nähere Informationen zu Anton Stoll und seiner Freundschaft zu Wolfgang Amadeus Mozart sind unter
dem Link Anton Stoll nachzulesen.
Aus der Zeit Mozarts haben sich auch Teile der Orgel in der Stadtpfarrkirche erhalten. Dieses Werk verdankt
Baden eigentlich der Klosterauflösung unter Kaiser Joseph II. Ursprünglich wurde es vom Wiener
Orgelbaumeister Johann Hencke für die Kirche des Dorotheerklosters in Wien gebaut. Gerade in der Zeit, da
dieses Kloster aufgelöst wurde, suchten die Badener Kirchenmusiker nach einer neuen Orgel. Natürlich spielte
dabei auch die Kostenfrage eine Rolle. Letztendlich war es für Baden billiger, eine zwar gebrauchte, doch noch
fast neuwertige Orgel, noch dazu von einem der bedeutendsten Orgelbaumeister des 18. Jahrhunderts verfertigt,
zu erwerben, als ein neues, maßgeschneidertes Instrument bauen zu lassen. Mit einigen Kompromissen war es
möglich, die Orgel für den am Badener Chor vorhandenen Platz zu adaptieren. In dieser Form verblieb das
Instrument bis zum Jahr 1913. Damals wurde, dem Geschmack der Zeit entsprechend, die ursprüngliche
mechanische Schleifladenorgel abgebaut und hinter das stillgelegte Prospekt ein pneumatisches Werk mit
romantischer Disposition eingebaut. In den Jahren 1985 bis 1987 wurde unsere Orgel durch den
Orgelbaumeister Gerhard Hradetzky aus Oberbergern bei Krems generalsaniert und wieder in eine barocke
Schleifladenorgel rückgebaut. Nun erklingen die historischen Prospektpfeifen wieder im Prinzipalregister und
die Organistin, Frau Prof. Margit Fussi, spielt im 2. Manual auf den selben Tasten, die schon die Hände von
Mozart, Schubert, Mendelssohn-Bartholdy und möglicherweise auch Beethoven berührt haben.
Ganz sicher hat Beethoven 1807 Teile seiner Messe in C-Dur, op. 86, in Baden komponiert. Bekannter ist allerdings die Tatsache, daß
Beethoven im sogenannten "Kupferschmiedhaus" grosse Teile seiner 9. Symphonie und wahrscheinlich auch
der Missa solemnis geschrieben hat. Eine Dauerausstellung im heute "Haus der Neunten" genannten Gebäude
erinnert an diese Geschehnisse.
Nach Anton Stoll übernahm für ein Jahr seine Frau Anna Stoll die Chorleitung und ab 1806 wird Leopold Maglo
als Schulmeister und Regens Chori genannt. Sein Nachfolger wurde 1836 Franz Walter, der bis
1872 als Schulmeister in Baden tätig war. In der Chronik des Kirchenchores lesen wir allerdings von einer
anderen Person, die von 1836 bis 1870 das Amt des Regens Chori inne gehabt haben soll: Johann Nepomuk Navianski.
Dieser hieß aber "Johann Namiesky" und war Thurnermeister, also Leiter des Orchesters.
Namiesky war angeblich mit Beethoven befreundet und bekam von ihm einen
Taktstock geschenkt, der sich zumindest 1930 noch im Archiv des Chores befunden haben soll. Mit Karl Zanetti begann
anno 1872 die Ära der selbständigen Chorleiter bei St. Stephan. Als der 1831 im Nachbarort Pfaffstätten
geborene Zanetti 1905 starb, übernahm sein Sohn, unterstützt vom
damaligen Stadtkapellmeister Karl Wiesmann, diese Funktion. 1909 begann dann eine weitere
interessante Ära in der Geschichte unseres Chores, als Bernhard Nefzger den Dirigentenstab übernahm. Dieser
1874 geborene Absolvent des Wiener Konservatoriums spielte von 1895 bis 1901 im berühmten Ziehrer-Orchester
und war 1902 bis 1910 Mitglied des Wiener Konzertvereines. In seine Zeit fallen legendäre
Aufführungen der großen Messen von Haydn, Mozart, Beethoven und Schubert . Am 13. Dezember 1931 kommt
Bernhard Nefzger auch zu einer Kurzmeldung in der New York Times, als die Entdeckung des Autographs einer
"Badener Messe in C-Dur" im Archiv des Kirchenchors an die Öffentlichkeit dringt. In der ersten Begeisterung
wird die Messe Mozart zugeschrieben und auch ein vermeintliches Entstehungsjahr (1776) der angeblich in
Salzburg komponierten Messe angegeben. Auch wenn sich das Ganze nachher als Irrtum herausstellte und die
Messe wieder in Vergessenheit geriet, weist diese Episode doch auch auf die lange Tradition unseres Chores und
sein reichhaltiges Archiv hin.
Nähere Informationen zur "Badener Messe" sind unter
dem Link Badener Messe nachzulesen.
Bernhard Nefzger, der am 11. Februar 1935 zum Ehrenbürger der Stadt Baden ernannt wurde, führte den Chor
auch durch die schwierige Kriegszeit. Sein kongenialer Partner an der Orgel war seit 1923 Professor Viktor
Dostal, dessen Spitzname "Orgelfloh" auch uns Nachgeborenen noch ein Begriff ist. Dostal war über Baden
hinaus bekannt für seine Orgelimprovisationen und als Organist sogar beim damaligen Rundfunk, der RAWAG, tätig.
1948, als die ärgsten Tage der Kriegs-und unmittelbaren Nachkriegszeit gerade vorbei waren, traf mit dem Tod
von Bernhard Nefzger den Chor ein arger Schicksalsschlag. Als sein Nachfolger wurde noch im gleichen Jahr
Professor Josef Thomas Biegler bestellt. Mit ihm kommt wieder ein Lehrer an die Spitze des Chores, da Professor
Biegler im Bundesgymnasium Baden Biondekgasse als Pädagoge wirkte und außerdem auch als Musikerzieher
tätig war. In seine Ära fällt neben der Wiedererstehung eines freien Österreichs anno 1955
auch der Festgottesdienst, der am 27. Jänner 1956 zum Gedenken der zweihundertsten Wiederkehr des
Geburtstages von W. A. Mozart, abgehalten wird.
Am 10. November 1962 trifft mit dem plötzlichen und unerwarteten Tod von Professor Viktor Dostal den Chor
ein weiterer Schlag. Doch bereits am 8. Dezember 1962 leuchtet ein neuer Stern am Badener
Kirchenmusikhimmel. Professor Margit Fussi spielt im Hochamt zum ersten Mal die Orgel. Sie hat es geschafft,
trotz ihres intensiven beruflichen Engagements als Solo-Korrepetitorin an der Universität für Musik und
darstellende Kunst in Wien, seither dem Chor und unserer Orgel die Treue zu halten. Besonders freut uns
außerdem, daß die Tradition der Organistinnen schon seit längerer Zeit von Susanna Pfann in der
Nachfolgegeneration fortgesetzt wird.
Am 1. Jänner 1972 kommt es auch am Dirigentenpult zum Generationenwechsel. Professor Biegler übergibt sein
Amt an Prof. Willy Kreuzer. Dieser setzt einerseits die Tradition der
Gymnasialprofessoren in der Funktion des Regens Chori fort, ist er doch in der gleichen Schule wie Professor
Biegler als Musiklehrer tätig. Andrerseits setzt er durch die Kooperation mit anderen Chören und Orchestern
auch ganz neue Akzente. So fallen in seine Ära die Aufführungen der ganz großen Werke der Chorliteratur, wie
der Missa solemnis von Beethoven, des "Messias" von Händel, des "Requiems" KV 626 von W.A. Mozart, der
"Grossen Messe in c-moll", KV 427 von Mozart, der "Schöpfung" von Haydn oder der "Hohen Messe in
h-moll", BWV 232, von J.S. Bach. Viele dieser Aufführungen sind Frucht einer wunderschönen
Zusammenarbeit mit der Bachgemeinde Wien unter Professor Wolfgang Gabriel. Gemeinsam mit dem N.Ö.
Tonkünstlerorchester und der Mödlinger Singakademie wagten wir uns auch erfolgreich an die "Carmina
Burana" von Carl Orff. Außerdem tätigt der Chor unter der Leitung von Professor Kreuzer häufige
Auslandsreisen. Beginnend mit Budapest im Jahr 1978, folgen als Reiseziele Prag (1981), Passau (1985),
Pressburg (1991), Israel (1994), Rom, Neapel und Sizilien (1996), Tschenstochau und Krakau (1997), Moskau
und St. Petersburg (1999), Ägypten und Jordanien (2000), im August 2001 ein kurzer Besuch in der
Schweiz mit je einer Messe in Einsiedeln und Näfels, Deutschland (Trier, Aachen, Köln, Bonn - 2004)
sowie 2006 eine Reise nach Andalusien.
Weitere Höhepunkte der letzten 30 Jahre waren: das Mitwirken an der Gestaltung der Papstmesse im Wiener
Donaupark am 11. September 1983, die Teilnahme an mehreren Konzerten im Goldenen Saal des Wiener
Musikvereines mit Haydns "Te Deum für die Kaiserin", Rossinis "Stabat mater" und der 9. Symphonie von
Ludwig van Beethoven sowie das Mitwirken an zwei im Rundfunk übertragenen Aufführungen der Symphonie
Nr. 8 in Es -Dur von Gustav Mahler im neuerbauten Festspielhaus in St. Pölten. Auch "solistisch" kam der Chor
bereits zweimal zu Rundfunkehren, da am 11. Februar 1979 und am Pfingstsonntag, dem 7. Juni 1992, das
Hochamt im Österreichischen Rundfunk live übertragen wurden. Kam beim ersten Mal die schon oben genannte
Messe in B-Dur KV 275 von Mozart zur Aufführung, so wurde während der zweiten Rundfunkmesse die
"Henrici-Messe" von Rudolf (+Anton Maria) Klafsky zu Gehör gebracht. Geistlicher Rat Rudolf Klafsky, ein
Spezialist für das vielfach verkannte Werk von Michael Haydn und Ehrenbürger der Kurstadt Baden, hatte diese
Messe im Jahre 1901 komponiert und der Kirchenchor freut sich sehr, diese Messe aus den autographen Noten
singen zu können.
Was den Chor besonders freut, ist die wiederentdeckte Zusammenarbeit mit dem Badener Dirigenten Dr. Norbert Pfafflmeyer.
Unter seiner Leitung kamen schon in den 80er-Jahren gemeinsam mit den Orchester der Musikfreunde der Stadt Baden viele
schöne Aufführungen zustande. Seiner Initiative verdanken wir zwei Konzerte mit der Bohuslav Martinu Philharmonie Zlin
(Tschechien): Puccinis "Messa di Gloria" (Kromeriz 2003) und Beethovens 9. Symphonie (Baden 2005, gemeinsam mit
dem Gumpoldskirchner Kammerchor "Vox Humana", der Mödlinger Singakademie und dem Stadtchor Veszprém).
Als Zeichen der besonderen Anerkennung unserer vielen Aktivitäten verlieh die Stadt Baden im Jahr 2002 dem Kirchenchor St. Stephan
den Kulturpreis für hervorragende Leistungen auf dem Gebiet der Musik.
Text: Dr. Michael Pretterklieber
Quelle:
ANONYM (1931): A Masterpiece of Mozart Comes to Light in a Town Near Vienna. The New York Times, 13.
Dezember.
ANONYM (1948): Chordirektor Professor Bernhard Nefzger zum Gedenken. Badener Zeitung, Juli 1948.
ANONYM (1980): In memoriam Prof. J. Th. Biegler. Badener Zeitung, Juni 1980.
A.E. (1930): Die Badener C-Messe. Badener Zeitung, 31. Dezember.
BIEGLER J. Th. (1961): 50 Jahre Kirchenmusik in St. Stephan in Baden. Badener Zeitung, 4. und 11.
November.
DANIS A. (1948): Bernhard Nefzger +. Badener Volksblatt, Juli 1948.
F.P. (1962): Oberstudienrat Prof. Viktor Dostal gestorben. Badener Zeitung, 17. November.
FLEISCHBERGER W., BIEGLER J.Th., LICHTBLAU T., PRETTERKLIEBER M.L., KREUZER W. (1931
ff): Gedenkbuch des Kirchenmusikvereins Baden.
GRIMM V. (1930): Geschichte der Badener Kirchenmusik. Badener Volksblatt, Dezember.
WILLANDER A. (1980): Musikgeschichte der Stadt Baden. Weilburg-Verlag.
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