Vinzenz Goller

(9. März 1873 – 11. September 1953)

Vinzenz GollerVinzenz Goller wurde in St. Andrä bei Brixen als Sohn des Josef Goller und seiner Frau Rosina, geb. Plaikner geboren. Als Volksschullehrer, Mesner und Organist legte der Vater den musikalischen Grundstein für seine weitere Ausbildung. Auf einem alten Spinett und einem ebenso schlechten Harmonium versuchte er sich die Fertigkeiten anzueignen, die notwendig waren, um seinen Vater bisweilen auf der Orgel vertreten zu können. Lieber aber sang er – ebenso wie seine Mutter – als Sopranist im Kirchenchor mit. 1885 kam er als Sängerknabe ins Kloster Neustift bei Brixen. In dieser Zeit lernte er Geige spielen und erhielt auch Unterricht auf dem Waldhorn, das er schon im Elternhaus gespielt hatte. Dort hatte er auch schon Notenschreiben geübt, als er für den Vater Stimmen ausschreiben mußte für die Musikkapelle. Chorlieder mußte er für Blasinstrumente verschiedenster Stimmungen umsetzten als Übungsmaterial für die Bläser. Ab 1888 besuchte er die Lehrerbildungsanstalt in Innsbruck, wo eine systematische musikalische Ausbildung erfolgte. An Sonn- und Feiertagen war er von 6 Uhr früh bis 10 Uhr vormittags für verschiedene Kirchenchöre tätig, als Sänger, Waldhornist, Geiger und auch Organist. Während dieser Zeit nahm er Kompositionsunterricht bei Josef Pembauer, der bestimmend wurde für sein überwiegend kirchenmusikalisches Schaffen. Von 1892 bis 1903 wirkte Goller in verschiedenen Orten Südtirols als Volksschullehrer und damit verbunden als Organist und Regens Chori. Die in dieser Zeit entstandenen ersten Kompositionen veröffentlichte er unter dem Pseudonym Hans von Berchthal. Er beschreibt diese Zeit folgendermaßen: “… in der ersten Hälfte der Woche wurde komponiert und kopiert, in der zweiten Hälfte einstudiert. …” 1898 besuchte er auf Empfehlung des Domchordirektors von Brixen die Kirchenmusikschule in Regensburg. Das nötige Geld dazu verschaffte er sich zum Teil durch den Verkauf von Gamsbärten (die dafür notwendigen Gemsen hatte er selbst erlegt), zum Teil unterstützten ihn einige Freunde. 1899 heiratet Goller Maria Josefa Pfeifhofer (18. März 1879 – 19. Jänner 1946) aus Sexten. Dieser Ehe entstammen sieben Kinder. 1903 schied er endgültig aus dem Schuldienst und übersiedelte mit Frau und Kindern nach Deggendorf, wo er als Organist, Dirigent und Musiklehrer wirkte. Obwohl er mit seiner “Loreto-Messe, op. 25” einen ersten internationalen Erfolg verzeichnen konnte, studierte er noch ein halbes Jahr bei Rudolf Dittrich Orgel und bei Richard Heuberger Komposition am Wiener Konservatorium. 1909 erhielt er sein Diplom und wurde noch im selben Jahr mit dem Aufbau einer Abteilung für Kirchenmusik an der Akademie für Musik und darstellende Kunst in Wien betraut. Die Gründung dieser Abteilung erfolgte 1910 und befand sich in Räumen des Stiftes Klosterneuburg. Gleichzeitig wurde er zum Professor für Kirchenmusik ernannt. Im Rahmen der Vorbereitungsarbeiten für den 1909 abgehaltenen “3. Internationalen Musikkongreß” – Abteilung: Katholische Kirchenmusik – lernte er Albert Schweitzer kennen, der für die Abteilung Evangelische Kirchenmusik zuständig war. Nach eigenen Angaben verdankt er ihm reiche Erkenntnisse über die Orgel und das Orgelspiel und Schweitzer erschloß ihm auch das Orgelwerk von J. S. Bach. 1913 gründete er zusammen mit Gleichgesinnten die kirchenmusikalische Fachzeitschrift “Musica divina”.

Vinzenz GollerMit Italiens Übertritt zu den Alliierten im Mai 1915 meldete Goller sich als “Freiwilliger” der Tiroler Standschützen. Bis zum Kriegsende avancierte er vom einfachen Standschützen zum Bataillonskommandant der Truppen im Pustertal. Nach seiner Gefangennahme im September 1918 durch die Italiener flüchtete er bald aus dem Lager in der Nähe von Mantua über wenig begangene Bergpfade in die Schweiz und von dort nach Österreich. Im Februar 1919 war er glücklich in Klosterneuburg bei der Familie und übernahm wieder die Leitung der Abteilung “Kirchenmusik”, die er bis 1921 inne hatte. Als seine Eltern im August 1920 ihre Goldene Hochzeit feierten, konnte Goller nicht auf legalem Weg nach Brixen gelangen, da er als geflohener Kriegsgefangener noch immer auf den italienischen Fahndungslisten stand. In umgekehrter Richtung ging es diesmal von Österreich über die Schweiz nach Südtirol, auf ebenso geheimen Wegen. Er langte rechtzeitig zur Feier ein. Sie fand nachts statt in der Wohnung seines Bruders Pius Goller, Domherr und Domkapellmeister in Brixen.

Seine Emeritierung erfolgte 1933, er mußte aber weiterhin einige Stunden unterrichten. Bis 1936 fuhr er zu diesem Zweck immer mit der Bahn von Klosterneuburg nach Wien, wohin die Abteilung inzwischen übersiedelt war. Seit 1933 war er Gemeinderat in Klosterneuburg und ab 1936 sogar Bürgermeister dieser Gemeinde. 1938 wurde er durch die Nationalsozialisten seines Amtes enthoben. Zwei seiner Kinder gehörten einer der ersten Widerstandsgruppen an, der “Gruppe Scholz”, die aus einigen Dutzend Leuten bestand. Einer aus den eigenen Reihen wurde zum Verräter und die Gruppe wurde am 22. Juli 1940 ausgehoben, inhaftiert und angeklagt. Gollers Tochter wurde infolge der Mißhandlungen während ihrer Haft fast blind, der jüngste Sohn Hubert wurde wegen “Volksverrat” zum Tod verurteilt. Ein enger Parteifreund Hitlers, dem Goller im 1. Weltkrieg einmal das Leben gerettet hatte, bewahrte eingedenk dieser Tat den Sohn vor dem Fallbeil. Er wurde “nur” zum Dienst in einer Strafkompanie verurteilt. Gollers Frau brach unter diesem Schlag zusammen und sollte sich nie mehr ganz erholen. Als 1941 Stift Klosterneuburg aufgehoben wurde, übersiedelte er mit der restlichen Familie nach St. Michael im Lungau, wo eine seiner Töchter mit einem Arzt verheiratet war. Nach dem Tod seiner Frau 1946 verbrachte er einige Zeit bei seinen Geschwistern in Südtirol, bis er 1950 wieder nach Klosterneuburg zurückkehrte.

Vinzenz Goller1953 wurde Vinzenz Goller zum Ehrenmitglied der Akademie für Musik und darstellende Kunst ernannt, er starb jedoch noch, bevor der Festakt statt fand. Nach einem Jagdausflug erkrankte er an einer Lungenentzündung und starb am 11. September 1953 in St. Michael im Lungau. Er wurde am dortigen Friedhof an der Seite seiner Frau bestattet.
Erholung und Kraft für seine Arbeit als Pädagoge und sein musikalisches Wirken holte sich Goller als passionierter Bergsteiger und Jäger in den Bergen. Belegt ist, daß seine “Loreto-Messe” auf einer Berghütte entstand. Als Abschluß einer Bergtour im Gesäuse gab er einmal ein Orgelkonzert im Stift Admont. Ein musikalisches Denkmal setzte er auch seiner Heimat Tirol in dem Lied “Tirol isch lei oans”, das in der Zeit entstand, als er Lehrer in Sexten war. Der Text stammt von seinem Freund Sebastian Rieger und es entstand – wie könnte es anders sein – auf einer gemeinsamen Bergwanderung.

Neben einem “Vinzenz Goller-Weg” in seiner Heimatgemeinde St. Andrä gibt es zur Erinnerung an den Komponisten im Grundschulsprengel Brixen auch eine Schule, die seinen Namen trägt.

Gollers überwiegend kirchenmusikalisches Werk entstand aus der Praxis für die Praxis. Er komponierte für Chöre mit verschiedenem Können und verschiedener Besetzung. Vom Landkirchenchor bis zum semiprofessionellen Domchor wurden seine Werke aufgeführt. In seinem Schaffen sind drei Phasen zu erkennen:

  • Orgelmessen: mit der bereits erwähnten “Loreto-Messe” und der “Clemens Hofbauer-Messe”, op. 66, als Höhepunkte. Die “Loreto-Messe” steht in drei verschiedenen Ausgaben zur Verfügung: für vierstimmigen gemischten Chor, für dreistimmigen Frauenchor und dreistimmigen Männerchor, alle drei Varianten mit Orgelbegleitung. Eine “Messe zu Ehren des Hl. Leopold”, op. 106 für gemischten Chor, 2 Trompeten, 2 Waldhörner, 2 Posaunen und Orgel ist auf dem Weg nach Amerika seit 1942 leider verschollen.
  • Kantormessen: ein Kantor wird dem Chor gegenüber gestellt.
  • Volksliturgisch geprägte Werke: einstimmig mit Orgelbegleitung. Diese Variante der Kirchenmusik entsprach der vom Augustiner Chorherren Pius Parsch initiierten Reform der Liturgie im Sinne der Eucharistieerneuerung, die auf Pius X. zurückgeht. Die Musik ist bewußt einfach in der Melodieführung mit kleinen Intervallsprüngen. Die aus diesem Geist entstandenen sogenannten “Bet-Sing-Messen” sind zum Teil heute noch in den Diözesanliederbüchern Süddeutschlands und Österreichs enthalten. Die Nummern 433 bis 435 im “Gotteslob” singt fast jeder regelmäßige Gottesdienstbesucher auswendig, die wenigsten wissen aber, wer der Komponist ist.

Werke:

Goller schuf überwiegend kirchenmusikalische Werke, für alle kirchlichen Feste im Jahreskreis gibt es Kompositionen von ihm. Die bis 1903 gedruckten Werke erschienen unter dem Pseudonym Hans von Berchthal. Es sind dies op. 1 bis 3. Unter seinem wirklichen Namen erschienen zahlreiche Messen, Requien und Offertorien. In seiner “Selbstbiographie” (erschienen unter dem Titel “Zeit lassen!” im “Alpenländischen Kirchenchor”, 1953, Nr. 3 und 4) meint er, er habe für alle Gelegenheiten des Kirchenjahres Texte vertont. Liest man das Werkverzeichnis, so ist klar zu erkennen, daß er tatsächlich für das jeweilige Können des Chores komponierte, den er während seiner “Wanderjahre” als Lehrer vorfand. Die 114 gezählten Werke sind überwiegend für den kirchlichen Gebrauch bestimmt. Die bekanntesten seiner Orgelmessen sind die “Loreto-Messe” und die “Clemens Hofbauer-Messe”.
Unter den gedruckten Werken ohne Opuszahl befindet sich unter anderen eine Ausgabe der “Messe in E-Moll” von Anton Bruckner mit Orgelauszug statt des originalen Blasorchesters. Erstmals erschien diese Messe 1917, in einer revidierten Fassung wurde sie 1931 nochmals herausgebracht.
Unter den nichtveröffentlichten und nur für Einzelne geschriebenen Werken seien zwei genannt, die Gollers Verehrung für Bruckner deutlich machen:

  • “Festpräludium für Orgel in memoriam Anton Bruckner”, 6. Juni 1937; komponiert zur Aufstellung der Brucknerbüste in der Walhalla zu Regensburg;
  • 2 Festfanfaren für 11 Bläser über Themen von Anton Bruckner

Text: Adelheid Hlawacek

Quellen:
Bildquelle:  Kronsteiner, Hermann: Vinzenz Goller – Leben und Werk; Linz 1976, (Bd 13 der “Schriftenreihe des Allgemeinen Cäcilien-Verbandes für die Länder der deutschen Sprache”)
Musik in Geschichte und Gegenwart, Bd 7, München 1989;
Österreich-Lexikon, Bd 1, Wien 1995